Controller – Ein Burnout-Job?
Warum Controller Resilienz besonders nötig haben könnten?
Fünf provokante Hypothesen zur Controller-Rolle auf Basis der eigenen Wahrnehmung
Der Autor, Prof. Dr. Martin Hauser, beschäftigt sich seit seinem Burnout im Jahr 2015 intensiv mit Fragen des Selbstmanagements. Vor dem Hintergrund einer mehr als 30-jährigen Erfahrung im Controlling als ltd. Controller, Trainer und Berater sowie als Vorstand der Controller Akademie AG von 1999 bis 2011 besteht sein Herzensanliegen heute darin, seine sehr persönlichen Erfahrungen mit einem tiefen Erschöpfungssyndrom und als besonderer Weg einer ganzheitlichen Heilung die Erkenntnisse der hypnosystemischen Therapie und des Coaching „seiner“ Kernzielgruppe, den Controllern, zu vermitteln. In diesem Beitrag widmet er sich den Gefahren, die die Controller-Rolle mitbringen könnte. Ein frühzeitiges Erkennen von Burnout befeuernden Kontextbedingungen kann ein Element einer wirksamen Burnout-Prophylaxe darstellen.
These 1 – Controller seien die kritischen Counterparts des Managements
So lauten die Forderungen innerhalb der internationalen Controller Community. Kritisch sein zu können, wider dem Stachel löcken, wird zu einer der herausragenden persönlichen Kompetenzen der Controller. Kritikfähigkeit als positive ganzheitliche Eigenschaft bezieht beide Richtungen mit ein. Kritik äußern und annehmen müsste in gleicher Weise gemeint sein. Die Fähigkeit zur Selbstkritik ist somit unabdingbar, um Kritik an Sachverhalten in konstruktiver Weise gegenüber Personen zu üben. Eine zu starke Orientierung an kritikwürdigen Sachverhalten kann zu einer Problemtrance beim Controller selbst führen. Kritik und Lob, positive Anerkennung des Geleisteten und Bewahrenswerten, sind nicht mehr im Gleichgewicht. Das System kippt. Kritisch zu sein, wird zu einer „deformation professionel“. Eine negative selektive Wahrnehmung der Realität führt zu einer negativen Sicht der Welt. Controller finden immer ein Haar in der Suppe. Controller deformieren zu „Yes-Butter“(Ja, aber)-Typen, nerven die Kollegen des Managements und auf Dauer sich selbst.
These 2 – Controller als Berater und Dienstleister des Managements stehen unter Dauerdruck
Häufig gelten keine geregelten Arbeitszeiten. Hohe, regelmäßig wieder kehrende Arbeitsspitzen z.B. bei der Budgetierung, den Abschlüssen, den Forecasts führen zu einer hohen Arbeitsbelastung mit der Gefahr, dass Zeiten der Ruhe und Regeneration immer seltener werden oder gänzlich ausbleiben. Zum Teil restriktive Handhabungen der Ferienregelungen verstärken diesen Negativeffekt. Fehlende Freiräume für Freizeitaktivitäten, wie z.B. Sport, Freunde treffen, Zeiten der Stille und Besinnung sind fast zwangsläufig und führen zu einem belastenden Ungleichgewicht der Lebensgestaltung. Die Lifebalance ist nicht mehr gewahrt. Die Gefahr der mentalen und körperlichen Erschöpfung der Controller ist immens. That’s nothing else than burn-out.
These 3 – Die Controller selbst stehen vermehrt in der Kritik
Was ist der „Value added“ der Controller? Wozu braucht’s die Controller überhaupt? Die Controller verstehen zu wenig vom Geschäft! Sie sind oft keine wirklichen Gesprächspartner und agieren als Erbsenzähler und „Kontrolletis“. In der Folge leiden das eigene Selbstbild und Rollenverständnis der Controller. Dies gilt umso mehr, wenn im Unternehmen kein klares Controller-Leitbild mit entsprechender Vision und Strategie für den Controller-Service vorhanden ist (das ist leider die Regel). Die Positionierung des Controller-Service im Unternehmenssystem ist nicht klar. All dies führt dazu, dass die Quellen einer intrinsischen Motivation für die Controller-Arbeit versiegen. Demotivation, Frust, fehlende Arbeitslust, Resignation bis hin zur Depression sind eine nahe liegende Folgeerscheinung.
These 4 – Controller sind Querschnitttypen und befinden sich im Idealfall im kontinuierlichen Dialog mit dem Management
So lautet das allseits verbreitete Ideal. Wenn dem so wäre, wird die Fähigkeit zur Beziehungsgestaltung zur Schlüsselqualifikation der Controller. Controller ist der Coach des Managements. „Business Partner“ des Managements zu sein, bedeutet auf der Beziehungsebene Coaching-Kompetenzen zu entwickeln, um das Management in seiner Problemsituation zu begleiten und zu einer Kompetenz- und Lösungsorientierung beizutragen. Ein Blick in die Praxis wirkt ernüchternd. Entwicklungsmaßnahmen mit der Zielrichtung, die Verhaltenskompetenzen der Controller zu verbessern werden nicht ohne weiteres gefördert. „Soft Trainings“ werden eher seltener budgetiert und durchgeführt. Zudem werden Controller häufig als introvertiert und IT-orientiert wahrgenommen. Das Nerd-Phänomen der Controller wird zum alltäglich Erlebten. Es entsteht ein innerer Zielkonflikt zwischen dem, was Controller können sollten und dem, was man glaubt zu können. Rückzug, Power-Point-Onanie, Excel-Ekstase sind die Folgen. Controller verlieren sich im Dschungel der Zahlen und Grafiken. Dann doch lieber die Grafik optimieren als sich selbst. Sinnkrise, fehlende gleiche Augenhöhe zum Management, Orientierungs- und Hilflosigkeit sind nicht selten. Controller erleben sich zunehmend in der Opferrolle. Eine aktive und autonome Gestaltung der Arbeitswelt des Controllers wird unwahrscheinlich.
These 5 – Controller überhöhen sich selbst
Eine besondere Form des Narzissmus zeigt sich in dem immer noch vorherrschenden Glauben an den homo oeconomicus, oder in unserem Kontext an den homo controllicus. Die Welt wird als planbar, steuerbar und vorhersehbar beschrieben. Entscheidungsmodelle, die primär kognitiv geprägt sind, werden von Beratern als Allheilmittel angepriesen und teuer verkauft. Unbewusstes und Unwillkürliches wird ausgeblendet, so als ob der Mensch nur aus einem Großhirnlappen bestünde. Business Intelligence, Data Mining etc. suggerieren die Vorstellung vollständiger Information. Digitalisierung und Industrie 4.0 werden zu den Superlativen einer „controllable world“. So entscheiden die Controller oder die als nahezu perfekt wahrgenommenen Systeme, ob eine Investition getätigt wird oder nicht, ob Menschen entlassen werden oder nicht. Die allwissenden Controller verlieren den Kontakt zu den Menschen. Fremdbild und Selbstbild klaffen weit auseinander. Hochmut kommt vor dem Fall. Die Sinnkrise ist programmiert. Ein Dieselskandal bringt das Weltbild einer ganzen Nation ins Wanken. Wie konnte das passieren? Wo waren die Controller? Arroganz und Überheblichkeit, Isolation und Einsamkeit stehen dicht neben einander. Die Krise wird zur Lösung, Wandel unausweichlich. Plötzlich ist von Werten die Rede, von den ethischen, nicht den monetären. Letztere sind schon längst den Bach hinunter.
Der Autor freut sich auf Antithesen zu seiner Wahrnehmung, wohl wissend, dass es die Realität nicht gibt, sondern nur unterschiedliche Wahrnehmungen der Wirklichkeit. Die eigentliche Bereicherung besteht nunmehr darin, die individuellen Sichtweisen auf das scheinbar ein- und dasselbe Phänomen auszutauschen.
Prof. Dr. Martin Hauser / Erschienen in: Controller Magazin Juli/August 2016